Mittwoch, 9. Juli 2014

Latzes WM: Top & Flop (6)

Es ist ja der Wahnsinn. 7:1. Und seitdem läuft das Internetz über vor Meldungen zu diesem fußballhistorischen Ereignis. Ich will gar keinen Roman dazu schreiben - vor allem deshalb nicht, weil dieser Halbfinalerfolg schon am Sonntag bei einer Finalniederlage wertlos werden kann. Meiner Meinung nach sagt das 7:1 nicht mal zur Hälfte etwas über die zweifellos vorhandene Stärke der deutschen Mannschaft aus. Vielmehr ist das Ergebnis zahlengewordener Beleg für das völlige Auseinanderbrechen der brasilianischen Mannschaft. Die spielerische Mittelmäßigkeit, von Experten schon während der gesamten WM beobachtet, wurde vor allem im Achtel- und Viertelfinale von dem unbändigen Willen, der Leidenschaft und der Hingabe übertüncht, mit der Scolaris Team den Titel für sein Land holen wollte. Die brasilianischen Spieler haben sich selbst einen unfassbaren Druck und eine unmenschliche Fallhöhe auferlegt, an der sie nun zerschellt sind. Das wurde gestern vor allem an dem tränenerstickten Interview von David Luiz deutlich. Individuelle Fehler, die auch Neymar und Thiago Silva nicht hätten verhindern können, führten zu den ersten beiden Toren. Anschließend ist die Mannschaft mental implodiert. Mein Mitleid gilt den Fans, deren Träume und Hoffnungen von der deutschen Mannschaft so abrupt und humorlos beerdigt wurden. Mein Mitgefühl mit der Mannschaft, die im gesamten Turnier und auch in den ersten zwanzig Minuten des Halbfinals ihr Ziel auch durch unsportliches Verhalten wie Schwalben, versteckte Fouls und Reklamationen zu erreichen suchte, hält sich in Grenzen. War es in den Spielen davor David Luiz, ist gestern besonders Marcelo in dieser Hinsicht sehr dumm aufgefallen.

Zum deutschen Team: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel (ach was!). Die Gefahr ist groß, aber ich habe bei dieser Mannschaft dennoch ein gutes Gefühl, dass sie auf dem Teppich bleibt, weiterhin kritisch mit sich selbst ist und nicht schon als gefühlter Weltmeister ins Finale geht - denn das wird ein ganz neues und ein sehr schweres Spiel. Bei meinem Gegnerwunsch bin ich zwiegespalten. Ich mag wie gesagt die Holländer und gönne ihnen schon grundsätzlich, aber auch speziell der aktuellen Mannschaft bei dieser WM jeden Erfolg. Und weil ich sie gleichzeitig für sehr gefährlich halte, hätte ich als Gegner gern Argentinien, da wäre mir wohler. Da gibt es nämlich Parallelen zu Brasilien: Messi und sonst nix.
TOP
Béla Réthy
Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich unbeliebt mache: Ich mochte das, was Béla Réthy da im Halbfinale so erzählt hat. Das war - vor allem in der ersten Halbzeit - ein trotz des Spielverlaufs angenehmer, sachlicher und trotzdem durch die Augen des ungläubig staunenden Fußballfans vorgetragener Kommentar. Auch für die Schock- und Trauermomente der Brasilianer fand er die richtigen Worte, nicht zu nüchtern, nicht zu platt emotionsheischend. Er hat damit den Aufwärtstrend, den er in meiner Wahrnehmung während dieser WM eingeschlagen hat, fortgesetzt. Auch wenn er dann in der zweiten Halbzeit, als aus dem Spiel weitgehend die Luft raus war, wieder in die übliche Statistik- und Anekdötchenplauderei abglitt, kann ich nur sagen: Es gibt tatsächlich Schlimmeres. Zum Beispiel, dass uns Tom Bartels am Sonntag das Finale erzählt.


 FLOP
Mesut Özil
Ja, ich weiß: Özil-Bashing kommt langsam aus der Mode. Weil es jeder macht, und weil es in seiner Masse und Wucht vielleicht auch oft dem Können dieses Mannes dann doch nicht gerecht wird. Aber ich kann nicht anders, auch und gerade nach dem gestrigen Halbfinale nicht. Ja, er ist von der Anlage ein genialer Spieler und hat auch in diesem Turnier schon seine lichten Momente gezeigt. Und ja, vielleicht sind es schon im nächsten Spiel zwei dieser Momente, mit denen er die Entscheidung bringt. Aber: Das können inzwischen auch andere in der deutschen Mannschaft mindestens genauso gut. Und die leisten sich zumindest momentan nicht diese Unfassbarkeiten im Hinblick auf Einsatz und Körpersprache wie Özil. Schlampige Pässe, schlampige Passannahme (dem Ball entgegengehen, das lernt man schon in der E-Jugend), null Torgefahr - bei allen Ideen, die er zwischendurch zeigt, ist das mein Haupteindruck. Und dann diese Teilnahmslosigkeit nach Ballverlust. Macht mich fertig. Zumindest aber polarisiert Özil offenbar. Interessant ist nämlich, wie unterschiedlich er in den verschiedenen Sportredaktionen bewertet wird. Zwei Beispiele:
  • SPOX: "Verlor die ersten Zweikämpfe allesamt, wirkte zögerlich statt entschlossen. Dann die schlaue Vorarbeit zu Khediras Chance, die für sein persönliches Spiel zum Türöffner wurde. Von da an unglaublich gut in Bewegung, jederzeit anspielbar, für den Gegner nicht zu greifen und mit guten Ideen beim letzten Pass. Lediglich ein eigener Treffer blieb ihm in seinem bisher besten Turnierspiel verwehrt, auch bei der hundertprozentigen Chance kurz vor dem Ende. Note 1" (Anmerkung von mir: Bei der Notenvergabe haben sich die Kollegen das Spässken erlaubt, allen deutschen Spielern eine 1 und allen Brasilianern die 6 zu geben.)

  • Süddeutsche: "Führte sich mit einem amüsanten Ausrutscher und dem üblichen ersten verlorenen Zweikampf ein. Den zweiten Zweikampf verlor er auch, Bedenken kamen auf. Schien die physische Komponente verweigern zu wollen. Blieb dem Gegner fern, als fürchtete er sich vor ihm. Man muss das so klar sagen: An ihm lag es nicht, dass die Deutschen erst ins Spiel fanden und anschließend gleich den Willen des Gegners brachen. Kombinierte danach gefällig mit."

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